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FWF-Projekt P29699 "Weberknecht Chemosystematik: 'Sclerosomatide Komponenten'"

PI: Günther Raspotnig; project associate: Miriam Schaider

 

Die großen Wehrdrüsen der Weberknechte und deren spezifisch zusammengesetzte Sekrete sind ein hervorragendes Modell zur Erforschung der evolutiven Geschichte phylogenetisch alter exokriner Systeme („Chemosystematik“). Bisher haben sich solche chemosystematischen Studien auf die phenol/benzochinon-haltigen Sekrete der tropischen Laniatores beschränkt. Eine auffällige chemische Klasse in Wehrdrüsensekreten bilden aber auch azyklische Komponenten und deren Derivate: die Grundstruktur dieser Azyklen besteht zumeist aus einem Ethyl-Keton mit einer Methyl-Verzweigung in Position Nr. 4. Diese Komponenten wurden erstmals in der Weberknechtfamilie Sclerosomatidae (Eupnoi) entdeckt, scheinen aber quer durch das System der Weberknechte immer wieder aufzutauchen, so z.B. bei bestimmten Dyspnoi, bei primitiven Laniatores (Triaenonychoidea), bei abgeleiteten Laniatores („K92“) und in modifizierter Form auch bei den Zwergweberknechten.

Wir postulieren, dass diese „Sclerosomatiden-Komponenten“ (SKs) ein grundlegendes Charakteristikum der Wehrsekretchemie von Opilioniden  darstellen und die unterschiedliche Wehrsekretchemie der Hauptlinien der Weberknechte zu einem chemosystematischen Gesamtbild logisch verbinden. Wir postulieren daher, dass die SKs nur einmal in basalen Weberknechten entstanden sind, sich chemisch enorm diversifizierten und in allen Hauptlinien der Weberknechte immer noch auffindbar sind. Damit repräsentieren SKs ein mögliches Herzstück einer durchgängigen und phylogenetisch erklärbaren Opilioniden-Chemosystematik.

In diesem Projekt sollen i) der gesamte Pool acyclischer Verbindungen bei Weberknechten erfasst und detailliert chemisch aufgeklärt werden; ii)  detektierte Acyclen dem Pool der SKs zugeordnet werden. Dies soll über Entschlüsselung des gemeinsamen Biosynthesewegs zu den SK und durch Aufdecken kontinuierlicher SK-Linien zwischen verwandten Gruppen passieren. iii) Als Hauptziel soll die gesamte evolutive Geschichte der SKs rekonstruiert werden. Damit soll erstmals ein komplettes und durchgängiges Modell zur evolutiven Geschichte der Sekretchemie eines stammesgeschichtlich uralten exokrinen Systems erstellt werden. Folgende Methoden sind dazu geplant:  i) Erfassung und Aufklärung der Sekretchemie einer repräsentativen Auswahl von Opilioniden mit Gaschromatographie-Massenspektrometrie und Kernresonanzspektroskopie; ii) Erarbeitung einer phylogenetischen Hypothese zur Evolution der Opilioniden, hauptsächlich der Palpatores, mit molekulargenetischen Methoden, und iii) Rekonstruktion der evolutiven Geschichte der „Sclerosomatiden-Komponenten“ mittels Techniken der „Ancestral Character State Reconstruction“.

Ergebnisse des Projekts:

“Sclerosomatide Komponenten”: Schlüsselelemente in der evolutionären Geschichte der Sekretchemie von Wehrdrüsen bei Weberknechten

Weberknechte (Opiliones) besitzen ein einzigartiges exokrines System, die sogenannten Wehr- oder Stinkdrüsen, die eine erstaunliche Vielfalt von Stoffen in taxon-spezifischen Mustern produzieren. Dazu gehören Methyl-Ketone und Naphthoquinone bei den Cyphophthalmi, Naphthoquinone und verschiedene aliphatische Komponenten bei den Eupnoi und Dyspnoi und stickstoffhaltige Verbindungen, Phenole sowie alkylierte Benzoquinone bei den Laniatores. Aus evolutionsbiologischer Sicht sind diese Komponentenklassen zu unterschiedlichen Zeiten und bei Vorfahren unterschiedlicher taxonomischer Gruppen erstmals entstanden, haben sich dann in bestimmten Gruppen diversifiziert bzw. sind in anderen Gruppen wieder reduziert worden.

Eine solche Klasse von Verbindungen sind die sogenannten „sclerosomatiden Komponenten“ (SKs), eine Klasse aliphatischer Stoffe – meist Ethyl-Ketone mit einer Methyl-Verzweigung in Position 4 bzw. davon ableitbare Derivate. Bislang wurden SKs nur bei einer Handvoll nordamerikanischer Leiobuninae gefunden. Wir belegen in unserem Projekt allerdings die Hypothese, dass diese Komponenten wesentlich weiter in den Sekreten von Weberknechten verbreitet sind bzw. sogar eine große, für Weberknecht-Sekrete charakteristische Stoffklasse darstellen.

Eine umfassende Untersuchung mit ausgewählten Vertretern aller wesentlichen Gruppen, hauptsächlich über GCMS und NMR, zeigte:

1) dass die Klasse der SKs wesentlich größer ist als bislang angenommen. Eine Reihe neuer SKs und SK-Derivate wurde entdeckt, darunter auch die Subklasse von SKs mit 3 asymmetrischen Kohlenstoffatomen. Dazu zählt beispielsweise das 2-hydroxy-3,5-dimethyl-octan-4-one, eine Komponente, die in unterschiedlichen Stereoisomeren bei Europäischen Leiobuniden zu finden ist.

2) dass SKs keine Besonderheit (Autapomorphie) der Amerikanischen Leiobuninae darstellen, sondern die Sekrete eines großen Teils der palpatoriden Weberknechte charakterisieren: im Detail sind SKs in den Sekreten von sclerosomatiden Eupnoi (ohne Gagrellinae und Gyantinae) ebenso wie bei nemastomatiden Dyspnoi zu finden. Der unerwartete Nachweis von SKs bei den Dyspnoi (die mit sclerosomatiden Eupnoi nur entfernt verwandt sind) deutet entweder i) auf die konvergente Entstehung von SKs oder aber ii) auf die einmalige Entstehung von SKs bei gemeinsamen Vorfahren von Eupnoi und Dyspnoi hin. In diesem Fall hätte die Diversifizierung von SKs in nur bestimmten Gruppen von Eu- und Dyspnoi stattgefunden, dagegen Reduktion von SKs in den verbleibenden Taxa.

3) dass eine zweite Klasse von Komponenten neben den SKs für die Sekrete der Palpatores typisch sind, nämlich Hydroxy-Carbonsäuren bzw. deren interne Ester, Lactone. Diese Komponenten sind möglicherweise unabhängig von SKs entstanden, entweder mehrmals konvergent in verschiedenen Gruppen der Palpatores oder wiederum einmalig bei Vorfahren der Palpatores. Hydroxy-Carbonsäuren bzw. Lactone repräsentieren eine neue chemische Klasse in Weberknecht-Sekreten und sind bei Gagrellinen (sclerosomatide Eupnoi), bei einem großen Teil der Phalangiidae und bei manchen nemastomatiden Dyspnoi verbreitet.

Die Ergebnisse des vorliegenden Projekts zeichnen ein neues umfassendes Bild der diversen Sekretchemie von Wehrdrüsen bei Weberknechten und geben modelhaft Einblicke in die evolutive Geschichte von exokrinen Systemen bei Arthropoden.

Publikationen:

(1)    Raspotnig, G., Schaider, M., Föttinger, P., and Schönhofer, A. (2017): A model for phylogenetic chemosystematics: evolutionary history of quinones in the scent gland secretions of harvestmen. Frontiers in Ecology and Evolution 5: 139. – doi: 10.3389/fevo.2017.00139

(2)    Schaider, M., Novak, T., Komposch, C., Leis, H.J., and Raspotnig, G. (2018): Methyl-ketones in the scent glands of Opiliones: a chemical trait of Cyphophthalmi retrieved in the dyspnoan Nemastoma triste. Chemoecology 28: 61-67. – doi.org/10.1007/s00049-018-0257-5

(3)    Raspotnig, G., Anderl. F., Clouse, R.M. (2019): The scent gland chemistry of neogoveid cyphophthalmids (Opiliones): an unusual methyljuglone from Metasiro savannahensis. Chemoecology 29: 189-197. - doi.org/10.1007/s00049-019-00288-y

(4)    Raspotnig, G., Anderl, F., Kunert, O.; schaider, M., Brückner, A., Schubert, M., DSötterl, S., Fuchs., R., Leis, H.J. (2020): A novel class of defensive compounds in harvestmen: hydroxy-g-lactones from the phalangiid Egaenus convexus. Journal of Natural Products 83: 3278-3286. - https://dx.doi.org/10.1021/acs.jnatprod.0c00277

Priv.-Doz. Mag. Dr.rer.nat.

Günther Raspotnig

Gruppenleiter

Institut für Biologie
Universitätsplatz 2
8010 Graz

Telefon:+43 316 380 - 8758


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